Erlauben Sie mir, meine Gedanken zu diesem Thema an solch exponierter Stelle, gleich obenan zu platzieren.

Es sei erwähnt, dass natürlich jeder, der das ABC beherrscht und schon einmal mehr als nur das Telefonbuch gelesen hat, seine eigene Meinung haben darf.

Daher gilt, ein einziges Mal betont, dass ich hier nur MEINE Ansichten aufschreibe. Andere können verschieden denken und sollen es auch. Es steht nicht und nichts in Stein gemeißelt.
In all den Jahren und nach all den Büchern, die ich gelesen habe, hat sich mein Augenmerk auf die Qualität der Charaktere eingependelt.

Taugt die Hauptperson was, liegt mir meist auch das Buch oder die Kurzgeschichte. Ist sie dagegen zum Gähnen und bleiben ferner die Nebenpersonen blutleer, lege ich das Gedruckte nicht selten schon nach wenigen Seiten weg, weil ich ahne, wie der Rest sein wird.

Meine Erfolgsformel für eine gute Geschichte lautet:

65% Personen, 25% Sprache, 10% Handlung

Die Personen:

Personen und ihre Motive müssen nachvollziehbar sein, auch wenn sie nicht dem Erfahrungshorizont des Lesers entstammen. Nur so kann man sich mit dem Protagonisten oder dem Antagonisten identifizieren.

Dann spielt es keine rolle, ob es Kriminalliteratur, Science-Fiction, Komödie oder Drama ist. Man muss die Figuren lieben oder sie zumindest hassen. Man muss mit ihnen leiden und fiebern können. Ein guter Autor weiß um diese Notwendigkeit, seine Figuren und Köpfe haben Fleisch und Knochen, sind liebenswert oder grantig, hinterhältig oder naiv, sympathisch oder verachtenswert, aber sie leben. Ein schlechter Autor produziert nur Abziehbilder, Kopien, Klischees.

Machen Sie die Probe, lesen Sie eine Seite ihres Geschriebenen, schließen Sie die Augen. Sehen Sie ihren Hauptcharakter vor sich? Klar und deutlich? Wissen Sie, was ihn antreibt? Ahnen Sie, was er höchstwahrscheinlich als Nächstes tun wird? Ist er so passend beschrieben, dass man ihn versteht, einerlei, wie dumm er sich verhält? Oder ist er nur verschwommen und könnte jeder x-beliebige Agent mit militärisch kurzen Haaren und markanten Kinn sein, wie sie die Seiten von zweitklassigen Allerweltsromanen bevölkern?

Ein schlechter Autor produziert Köpfe, deren Schicksal dem Leser vollkommen egal ist; ein Todesurteil für eine Geschichte. Können Sie sich vorstellen, dass jemand das Los von Hannibal Lector unberührt lässt oder das von Faust oder von Romeo?

Wir alle kennen Bücher, die wir mehrmals gelesen haben. Im besten Moment hoffen wir sogar, dass sich das Ende anders entwickelt, so sehr leiden oder bangen wir mit den Personen.
Stimmen die Köpfe, kommt der Rest fast von selbst.

Die Sprache:

Sprache ist wichtig, wird aber überbewertet. Denn wie sonst könnten übersetzte Bücher Erfolg haben? Auch der beste Übersetzer schreibt eben in seiner Sprache. Und dennoch wirkt seine Arbeit, wie vom Urheber gewollt – oder nicht gewollt, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Natürlich (oder nicht?) sollte die Sprache geschliffen und geradeaus sein, sollte ein Wort zum nächsten finden, aufgereiht an einer Perlenschnur, jedes Wort Ergebnis des Vorgängers, Vorbild für den Nachfolger. Aber die Sprache kann auch lang (nicht langweilig), verschachtelt, voller Bilder und Sprachkapriolen sein. Treffen Sie die Entscheidung für sich, seien sie Bukowski oder Mann, Chandler oder Tolstoi. Aber es muss stimmen, es muss passen. Seien Sie wer, aber nicht jemand anders.

Die Handlung:

Erschaffen Sie Neues oder kauen sie nur Altes wieder? Ich meine nicht das Thema, sondern die Darreichung. Meist dreht sich alles nur um Liebe, Geld oder Rache, viele Varianten bleiben nicht. Aber ist ihre geschriebene Handlung schlüssig? Nichts ekelt mehr an als eine sinnlose Aneinanderreihung von Szenen. Dann nimmt man den Leser nicht für voll, was nach dem Langweilen gleich das schlimmste Verbrechen ist, das ein Autor begehen kann,
Ich behaupte, dass jede gute Literatur spannend ist. Das Genre ist unwichtig. Nicht notwendigerweise muss es sich um reine Spannungsliteratur handeln. Auch Pipi Langstrumpf ist fesselnd.

Aber wenn Sie mich fragen, was das Erkennungsmerkmal guter Literatur ist, dann bleibe ich dabei, Personen, Personen, Personen.

Nachtrag: Es könnte auch nicht schaden, wenn der erste Satz ihrer Geschichte ein richtiger Kracher ist, ein Faden, ein Tau, an dem sich der Leser notgedrungen und aus freien Stücken weiterhangelt, ja, weiterhangeln muss, bis zum entscheidenden Ende. Schaffen Sie das?